Von Wölfen, Klimazielen, Kohäsion und Zertifikaten
1. Oktober 2021 – Im September 2020 haben die Schweizer Stimmberechtigten eine Revision des Jagdgesetzes, die unter anderem die Regulierung des Wolfsbestandes neu definieren wollte, mit knapp 52 % Nein-Stimmen abgelehnt. Mittlerweile zeigt sich, dass sich die Herausforderungen, die sich aus der Rückkehr des Wolfs in die alpinen Lebensräume ergeben, mit dem bisherigen Recht nicht lösen lassen.
Für ein Miteinander von Grossraubtier, Alpnutzung, Siedlung und Tourismus
Ich bin weder Jäger noch Älpler noch Walliser und auch nur dem Namen nach ein Bündner. Gerade deswegen und als Mitglied der nationalrätlichen Umweltkommission möchte ich einen Beitrag leisten, um die verhärteten Fronten in der Wolfsfrage aufzuweichen und Brücken zu bauen. In einem Rudel lebende erwachsene Wölfe, die ein problematisches Verhalten zeigen, weil sie die Scheu vor den Menschen verloren haben, können nach geltendem Recht faktisch nicht geschossen werden. Dies zeigt ein im August vom Bund abgelehntes Gesuch des Kantons Graubünden für den Abschuss eines Elterntieres mit problematischem Verhalten. Dies, obwohl die Elterntiere ihr problematisches Verhalten an die Jungtiere weitergeben können. Die Wolfspopulation wächst exponentiell, und das Grossraubtier wird den Agglomerationen immer näher kommen. Es ist für die Akzeptanz der Wolfspräsenz in der Schweiz absolut entscheidend, dass der Wolf seine Scheu vor dem Menschen behält. Mein von 32 Ratskolleginnen und -kollegen mitunterzeichneter Vorstoss will mit einer moderaten Ausweitung der möglichen Wolfsregulierung einen Beitrag leisten, dass die Diskussion um den Wolf in etwas ruhigere Bahnen gelenkt werden kann.
Hängepartie in der Klimapolitik
Aufgrund der Ablehnung des CO2-Gesetzes in der Volksabstimmung vom Juni 2021 befindet sich die Schweizer Klimapolitik in einer Hängepartie. Es ist klar, dass die Ziele gemäss Pariser Klimaabkommen mit dem aktuell geltenden Instrumentarium des «alten» CO2-Gesetzes nicht erreicht werden können. Immerhin hat der Nationalrat in der dritten Sessionswoche in einer Art Übergangsgesetz zwei auslaufende Klimamassnahmen über das Ende dieses Jahres hinaus verlängert. Besonders wichtig ist, dass Unternehmen, die eine Vereinbarung zur Senkung ihrer CO2-Emissionen abgeschlossen haben, auch künftig von der CO2-Abgabe befreit sind. Ich durfte in diesem Geschäft die Haltung der Mitte-Fraktion im Rat vertreten.
Wie weiter mit der Europäischen Union?
Nach dem Abbruch der Verhandlungen für ein Rahmenabkommen mit der EU herrscht zwischen der Schweiz und der EU Eiszeit. Noch immer ist die Äquivalenz der Schweizer Börsen sistiert. Neu ist die Schweiz nicht mehr Teil des sehr bedeutenden europäischen Forschungsprogramms Horizon. Und auch Verhandlungen über ein Stromabkommen, das für die Netzwerkstabilität und damit die Versorgungssicherheit mit elektrischer Energie sehr wichtig wäre, sind in weite Ferne gerückt. In dieser Situation habe ich mich wie die Mehrheit beider Räte – nicht ganz leichten Herzens – dafür entschieden, der Freigabe der so genannten Kohäsionsmilliarde an die EU zuzustimmen. Die Negativspirale in den Beziehungen zur EU muss durchbrochen werden, gerade aus Sicht eines stark vom Export lebenden Kantons wie St.Gallen. Ob es gelingt, ist ungewiss. Gewiss gewesen wäre aber eine fortdauernde Eiszeit bei einer weiteren Blockade der Gelder. «De Gschider git noh, de Esel blibt stoh», lautet ein Sprichwort. Im Moment ist die Rolle des Esels nicht bei der Schweiz!
Privileg?
Weil gewählte Parlamentarierinnen und Parlamentarier einen gesetzlichen Anspruch auf die Teilnahme an den Ratssitzungen haben, konnte die Covid-Zertifikatspflicht für den Zutritt zum Bundeshaus nicht ohne Schaffung einer formellen Gesetzesgrundlage eingeführt werden. In den Medien wurde dieser Umstand als unangebrachtes «Privileg» für die Parlamentarierinnen und Parlamentarier bezeichnet. Davon konnte keine Rede sein. Als geimpfte Person musste ich mich weiterhin hinter Plexiglasscheiben verstecken und Maske tragen, wogegen es an der bald beginnenden OLMA mit Zertifikat einen unbeschwerten Degustationshallenbetrieb geben wird. Am letzten Sessionstag haben wir ein dringliches Bundesgesetz verabschiedet. Seit dem 2. Oktober gilt Zertifikatspflicht für das Bundeshaus, und die Plexiglasscheiben können im Estrich des Parlamentsgebäudes verstaut werden.
Voten und Vorstösse
Wie immer dient dieser Newsletter dazu, einige wenige Themen der abgelaufenen Session aus persönlicher Sicht zu beleuchten. Dazu gehören auch mein Einsatz in der ersten Sessionswoche für ein Impulsprogramm für den Tourismus, mein Votum zur Geld- und Zinspolitik und zur bundesrätlichen Weigerung, sich departementsübergreifend damit auseinanderzusetzen, oder meine Interpellation zur Gasversorgungssicherheit.
In den nächsten Tagen geht es in Bern bereits weiter mit Sitzungen der Geschäftsprüfungskommission und der Umwelt-, Raumplanungs- und Energiekommission. Dazwischen werde ich aber ganz bestimmt die unvergleichliche Herbststimmung an der OLMA geniessen. Zum ersten Mal seit 11 Jahren ohne Verantwortung für die Messe als ganz normaler Gast. Ich freue mich darauf, die eine oder andere Leserin, den einen oder anderen Leser dieses Newsletters an der OLMA zu treffen!
Freundliche Grüsse
Nicolo Paganini
Nationalrat