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Mehr als die Farbe des neuen Hauses

7. Mai 2020 – Wie die ganze Coronakrise etwas Surreales an sich hat, so fühlte sich auch das Betreten des improvisierten Nationalratssaals in der Messehalle von Bernexpo surreal an. Zwar war die angestammte Sitzordnung beibehalten worden, die Entfernungen zwischen den Ratsmitgliedern waren aber vor allem fraktionsübergreifend schon sehr gross. Aus meiner zweithintersten Reihe etwa die Mimik der Rednerinnen und Redner ablesen zu können, war unmöglich. Gerade im Ungewohnten zeigen sich oft auch Vorteile des Gewohnten. So auch hier: Lösungsorientierte Politik ist mehr als Aktenlesen, «Reden für die Galerie», Zuhören und Abstimmen. Zur Parlamentsarbeit gehören kurze Absprachen in der Fraktion, ein Blickkontakt hier und dort, die Lösungssuche über Parteigrenzen hinweg und zwischen den beiden Räten. All das ist in den Messehallen nur eingeschränkt möglich. Nachdem auch die  Sommersession wieder bei Bernexpo stattfinden wird, hoffe ich deshalb für den September auf die Rückkehr ins Bundeshaus.

Die Sache mit dem fertigen Haus und der Farbe

Trotz dieser Einschränkungen des Ratsbetriebs war es richtig und wichtig, dass die Volksvertreterinnen und Volksvertreter dem Bundesrat Feedback zu seiner Arbeit in der Krise geben konnten. Und dass das bundesrätliche Krisenmanagement nach etlichen Wochen endlich eine Legitimation durch das Parlament bekommt. Ein lieber Freund aus Kantonsschulzeiten schickte mir am zweiten Tag der Sondersession eine WhatsApp-Nachricht mit dem Hinweis, diese Session komme ihm so vor, wie wenn der Bundesrat ein Haus schon fast fertig gebaut habe – und das Parlament dürfe nun noch die Fassadenfarbe wählen. Hat er Recht? Natürlich blieb uns faktisch nichts Anderes übrig, als die Nachtragskredite zu genehmigen. Und den Lockdown konnten wir auch nicht rückgängig machen. Aber der Bundesrat bekam für seine Politik Noten des Parlaments, demokratische Legitimation und Hinweise, wo allenfalls – besonders beim Ausstieg aus dem Lockdown – nachgebessert werden muss. Es ging somit eben nicht einfach um die Fassadenfarbe. Auch wenig um die Grundrisse des Hauses. Aber um eine nachträgliche Verbesserung des Fundaments. Und vor allem geht es nun auch darum, die Notrechtslage rasch zu beenden und nicht einfach schleichend in «normales» Recht übergleiten zu lassen. Hier müssen wir als Parlament unsere Verantwortung wahrnehmen.

Hypotheken für die Zukunft

Inhaltlich haben wir vor allem den gigantischen, weit über 50 Milliarden (!) Franken hinausgehenden Nachtragskredit für Massnahmen wie die Covid19-Notkredite, Hilfen für Selbstständige, Sport, Kultur und Kindertagesstätten, für die Beschaffung von Schutzmaterial oder die Rettung der Schweizer Luftfahrt genehmigt. Es ist bereits jetzt klar, dass die Corona-Krise sowohl weitere Kosten wie auch riesige Einnahmenausfälle beispielsweise bei der Mehrwertsteuer, der direkten Bundessteuer oder der Mineralölsteuer zur Folge haben wird. Die finanzielle Bewältigung von Covid-19 ist ein Generationenprojekt. Es ist nicht möglich, die zusätzliche Verschuldung innert weniger Jahre abzubauen. Die Herausforderungen für unsere Gesellschaft waren bereits vor dem März 2020 gross. Weder die Sicherung unserer Vorsorgewerke noch die Klärung unseres Verhältnisses zur EU oder der Klimawandel werden einfach so von der politischen Aufgabenliste verschwinden. Corona bürdet uns zusätzliche Hypotheken für die Zukunft auf. Notwendiges und Wünschbares müssen wir noch mehr als bisher unterschiedlich behandeln. Persönlich ist mir wichtig, dass wir Corona-bedingt nur temporäre Massnahmen und Ausgaben beschliessen und nicht nachhaltig von unserer liberalen Wirtschaftsverfassung abrücken.

Ungelöste Probleme bleiben

Enttäuschend ist, dass es nicht gelungen ist, für das grosse Problem der Geschäftsmieten eine Lösung zu finden. Persönlich hätte ich eine 50/50-Lösung zwischen Mietern und Vermietern für zwei Monatsmieten als gute Lösung erachtet. Sie hätte Rechtssicherheit gebracht und wohl Hunderte, wenn nicht Tausende von Gerichtsverfahren verhindert. Leider waren die Ansichten, was hier «gerecht» ist, zu unterschiedlich, und es fehlte die Zeit, sorgfältige Gesetzgebung zu betreiben. Ebenfalls hätte ich mir gewünscht, dass für Notkredite bis 500’000 Franken für die gesamte Laufzeit ein Zinssatz von null Prozent festgeschrieben wird. Auch das gäbe für viele KMU wichtige Planungssicherheit.

Ein gutes Zeichen für den Tourismus

Zurück zum Nachtragskredit: Nach einem langen Seilziehen hat das Parlament schliesslich auch 40 Millionen Franken für den Schweizer Tourismus bewilligt. Damit kann die Promotionsorganisation Schweiz Tourismus ihre Recovery-Kampagne starten. Zuerst für Schweizer Gäste (die auch auf weniger bekannte inländische Ferienziele aufmerksam gemacht werden müssen), später dann für die europäischen Nahmärkte und in der dritten Phase für Gäste aus Übersee. Auch werden die regionalen Tourismusorganisationen und die Destinationen finanziell entlastet. Ihnen sind die Einnahmen ebenfalls weitgehend weggebrochen. Als Präsident des Schweizer Tourismus-Verbandes freut mich dieses starke Zeichen der Politik für die Schweizer Tourismus-Wirtschaft.

Anfang Juni tritt das Parlament zur regulären Sommersession zusammen. Unter anderem steht im Nationalrat das CO2-Gesetz zur Debatte. Als Mitglied der Umwelt-, Raumplanungs- und Energiekommission UREK freue ich mich auf diese sicherlich intensiven Debatten.

Freundliche Grüsse

Nicolo Paganini
Nationalrat