13. AHV Rente – Woher soll das Geld kommen?
Während der vergangenen Frühjahrsession der eidgenössischen Räte drehten sich die intensivsten Diskussion nicht um ein aktuelles Ratsgeschäft, sondern um die Folgen des «Ja» der Stimmbevölkerung zur 13. AHV-Rente und des «Nein» zur Erhöhung des Rentenalters. Im nachhinein wurde im Bundeshaus intensiv über die finanziellen Konsequenzen dieser Entscheidungen debattiert, obwohl kein formelles Geschäft dazu auf der Agenda stand. Aus meiner Sicht kann die Finanzierung nur über einen Mix an Massnahmen erfolgen. Für den zusätzlichen Bundesanteil von jährlich 800 Mio. Franken (mit steigender Tendenz) steht eine Erhöhung der Mehrwertsteuer im Vordergrund. Innerhalb der AHV-Rechnung wird es nicht ohne zusätzliche Lohnbeiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gehen. Die von der Mitte lancierte Idee einer Finanztransaktionssteuer erachte ich als sehr prüfenswert. Aber eine solche grundsätzlich neue Steuer muss sehr genau geprüft werden und kann nicht über Nacht eingeführt werden. Das ist eher ein langfristiges Projekt. Die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer lehne ich ab, denn diese ist Sache der Kantone.
Massnahmen gegen den Medikamentenmangel müssen her
Die Schweiz leidet unter einem langjährigen Mangel an Hunderten von Medikamenten mit über 700 Dosierungen und rund 350 Wirkstoffen, was zu einer bedrohlichen Situation für die Gesundheit der Bevölkerung führt. Die Zahl der Versorgungsstörungen hat in den letzten Jahren in alarmierendem Masse zugenommen, was dringenden Handlungsbedarf zur Verbesserung der Medikamentenversorgung erfordert. Unsere Nachbarländer haben bereits Massnahmen zur Verbesserung ihrer medizinischen Versorgungssituation ergreifen.
Trotz der Dringlichkeit des Problems hat der Bundesrat bisher nur zögerlich gehandelt. Die getroffenen Maßnahmen, wie die Einsetzung einer Task Force, zeigen kaum Wirkung. Die politischen Prozesse und Berichte ziehen sich über Jahre hin, und es besteht die Gefahr, dass die notwendigen Lösungen nur teilweise erreicht werden. Aus diesem Grund bitte ich den Bundesrat in meiner Interpellation, sich beim Beantworten meiner Fragen kritisch mit dem Status Quo und der Handlungsstrategie auseinanderzusetzten.
Genaueres Hinsehen beim Schutzstatus S
Die St.Galler Kantonsregierung hat sich im Februar zum Schutzstatus S für ukrainische Flüchtlinge geäußert und stellte fest, dass Roma-Familien die Schweiz kurz nach Gewährung des Schutzstatus S wieder verlassen und dafür bei der erstmaligen Ausreise auch von Rückkehrhilfe profitieren. Dieser »Tourismus« ist inakzeptabel. Der Kanton St. Gallen vermutet zudem, dass Dokumente gekauft werden, um den Schutzstatus S in der Schweiz zu erhalten. Die Prüfung der Echtheit von Dokumenten muss verbessert werden, um dem möglichen Kauf von Papieren entgegenzuwirken, ohne den Pendenzenstapel zu erhöhen. Aus den genannten Gründen beauftragte ich den Bundesrat in meiner Motion, Anpassungen beim Schutzstatus S vorzunehmen, einschließlich der Aberkennung oder Nichtwiedererlangung des Status für Personen, die ausreisen, Rückkehrhilfe beziehen oder den Status missbräuchlich erlangen.
Wasserstoff statt Methan in der Ostschweiz
Das Bundesamt für Energie entwickelt eine Wasserstoffstrategie, die unter anderem den Zugang der Schweiz zur europäischen Wasserstoffnetzinfrastruktur klärt. Im Bodenseeraum soll die Wasserstoffinfrastruktur bis 2030 Lindau erreichen und die Möglichkeit bieten, eine Methanleitung im Rheintal auf Wasserstoff umzustellen. Hier könnte ein Abschnitt für Wasserstoff umfunktioniert werden, um das industrielle Rheintal, die Ostschweiz und im Falle eines Ausfalls der aktuellen Transitgasleitung die gesamte Schweiz mit Wasserstoff zu versorgen. Die Ostschweiz darf bei der Wasserstoffstrategie nicht ausgelassen werden, weshalb ich den Bundesrat in einer Interpellation bitte, meine Fragen zur Strategieausarbeitung für die Ostschweiz zu beantworten.
Der Trend Teilzeitarbeit
In meinem Postulat aus der Herbstsession 2023 fordere ich eine objektive Analyse für die Gründe der «freiwilligen Teilzeitarbeit» in der Schweiz mit Fokus auf ihre Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft. Bei freiwillig Teilzeitarbeitenden handelt es sich um Personen, die ihr Arbeitspensum reduzieren ohne familiäre Unterstützungs- und Versorgungsaufgaben zu haben. Der Anteil der Teilzeit-Männer hat sich zwischen 1991 und 2022 von 7,8 auf 18,7 Prozent, bei den Frauen von 49,1 auf 57,9 Prozent erhöht. Mit dem Postulat fordere ich vom Bundesrat einen Bericht, der die Gründe – etwa Work-Life-Balance oder steuertechnische Motive – für die freiwillige Teilzeitarbeit aufzeigt und die potentiellen Folgen für den Arbeitsmarkt und die Sozialversicherungen beleuchtet. Gerade vor dem Hintergrund von Fachkräftemangel, Arbeitsmigration und der immer größer werdenden Finanzierungslücken bei den Sozialversicherungen erhoffe ich mir einen aufschlussreichen Bericht. Dem Postulat wurde erfreulicherweise sehr deutlich zugestimmt.
Laute Stimmen gegen den Lärm
Im Rahmen der Revision des Umweltschutzgesetzes war die Diskussion im Nationalrat zum Wohnungsbau in Gebieten mit überschrittenen Lärm-Immissionsgrenzwerten besonders laut. Bis zum Bundesgerichtsurteil im Jahr 2016 wurde in verschiedenen Kantonen die so genannte “Lüftungsfensterpraxis” angewandt, die den Bau von Wohnungen auch dann erlaubte, wenn die Immissionsgrenzwerte für Lärm nicht bei allen Fenstern eingehalten werden konnten. Nach dem Bundesgerichtsurteil, mit welchem die Lüftungsfensterpraxis gekippt wurde, wurde allein in der Stadt Zürich der Bau von etwa 3000 Wohnungen blockiert. Gerade die grossen Städte, die über Wohnungsnot und hohe Mietpreise klagen, sind von den rigiden Lärmvorschriften besonders betroffen.
Der Bundesrat sowie eine Minderheit der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) wollten die Lüftungsfensterpraxis im Gesetz verankern. Die Umweltkommission des Nationalrats schlug auf meinen Antrag hin eine “erweiterte Lüftungsfensterpraxis” vor. Konkret sollen in der Schweiz künftig Baubewilligungen für Wohnungen in Gebieten mit überschrittenem Lärmgrenzwert unter folgenden Bedingungen zulässig sein: bei jeder Wohneinheit verfügt mindestens ein lärmempfindlicher Raum über ein Fenster, bei dem die Grenzwerte eingehalten sind. Zudem muss bei den übrigen Räumen eine kontrollierte Wohnraumlüftung installiert werden oder ein privat nutzbarer Aussenraum – etwa eine Terrasse oder ein Balkon – zur Verfügung stehen, bei dem die Lärmgrenzwerte eingehalten werden.
Wie ich als Kommissionssprecher der UREK in meinem Votum plakativ formuliert habe, geht es darum, entweder unter nicht idealen Bedingungen oder eben gar nicht zu wohnen. Der Nationalrat hat meinem Konzept und dem Gesetzesentwurf in der Gesamtabstimmung zugestimmt. Die Stimmen für die «erweiterte Lüftungsfensterpraxis» stammten von bürgerlicher Seite und sind ein Zeichen dafür, dass der Wohnungsnot in den Städten mit dem rascheren Bau neuer Wohnungen begegnet werden soll.
Nur eine persönliche Randnotiz war mein kleines Ratsjubiläum: Am 12. März vor sechs Jahren wurde ich im Ratssaal vereidigt. Ich bin mehr denn je motiviert und setze mich mit viel Engagement und Freude für die Anliegen der Ostschweiz und für eine lebenswerte Schweiz ein. Ich freue mich auf weitere Sessionen mit kontroversen Diskussionen, die zu Beschlüssen führen, die unser Land voranbringen.
Freundliche Grüsse
Nicolò Paganini
Nationalrat